Was ist eigentlich ein Cabrio?

Teil 1: Das „Cabrio“ im ursprünglichen Sinne

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Wie bereits erwähnt, wird die Bezeichnung „Cabrio“ heute überwiegend als Sammelbegriff für verschiedene Arten von „offenen“ Fahrzeugen verwendet. Das war aber nicht immer so. Unter einem Cabrio verstand man früher ein (häufig 4-sitziges) Fahrzeug mit einem gefütterten Stoffdach, welches „komplett“ geöffnet werden kann. Außerdem musste die Möglichkeit bestehen, die Seitenfenster zu öffnen, so dass die Passagiere bei offenem Verdeck und herabgelassenen Seitenscheiben komplett „im Freien“ sitzen. Für 4-türige Fahrzeuge, welche diese Vorgaben erfüllten, war die Bezeichnung „Phaeton“ üblich.

In der Frühzeit der Automobilentwicklung waren so gut wie alle Autos „offen“, denn ohne festes Dach waren sie günstiger herzustellen und ließen sich leichter verkaufen. Die offene Bauweise tat der Stabilität der Konstruktion kaum Abbruch, denn vor dem 2. Weltkrieg war die Rahmenbauweise üblicher Standard. Auf einen meist sehr massiven Rahmen konnten leicht unterschiedliche Karosserien aufgesetzt werden. Gerade bei teuren Fahrzeugen war es häufig so, dass sie individuell nach Kundenwunsch von den renommiertesten Karosserieschneidern ihrer Zeit eingekleidet wurden.


Rolls Royce Silver Ghost, Baujahr 1907, und Stutz Bearcat, Baujahr 1931: diese beiden kamen noch komplett ohne Faltverdeck aus. Streng genommen sind sie also „nur“ offene Fahrzeuge, keine Cabriolets!


Bei Fahrzeugen niedrigerer Preisklassen waren offene Fahrzeuge bis in die 30er Jahre weit verbreitet und kosteten meist weniger als ihre geschlossenen Pendants. Cabrios im ursprünglichen Sinne waren sie dennoch nicht immer, denn die Verdecke waren (falls überhaupt vorhanden!) oft ungefüttert (dann spricht man von „Tourern“); manchmal blieben auch die Fensterrahmen stehen wie bei „Cabriolimousinen“, welche in einem späteren Kapitel separat beleuchtet werden.

Nach dem 2. Weltkrieg setzte sich in der Fahrzeugkonstruktion immer stärker die selbsttragende Bauweise durch. Die Karosserie wurde Teil der tragenden Struktur; der separate Rahmen früherer Jahrzehnte hatte weitgehend ausgedient. Lediglich bei Vorkriegskonstruktionen wie dem VW Käfer oder dem Citroën 2 CV (der „Ente“) war er noch zu finden, sowie als nennenswerte Ausnahmen beim 1959 vorgestellten Triumph Herald und beim 1961 vorgestellten Renault 4. Bei diesen Fahrzeugtypen war die Karosserie mit dem Rahmen verschraubt; deshalb war es für die entsprechenden Hersteller eine relativ leichte Übung, aus der Ente den Méhari, aus dem Herald den Spitfire und aus dem Renault 4 die Variante „Plein Air“ als offenen „Strandwagen“ zu entwickeln.


Renault 4 Plein Air: offener als die meisten anderen Cabrios! Bei diesem „Strandwagen“ aus den 60ern gab es nur eine kaum Wetterschutz bietende Plane als Verdeck.


Eine der erfolgreichsten Vorkriegskonstruktionen war natürlich der VW Käfer, obwohl von dessen Gesamtproduktionszahl lediglich gut 1,5 % als Cabrios auf die Straße kamen. Absolut gesehen waren das zwar immer noch über 330000 Fahrzeuge, aber einer weiteren Verbreitung stand auch der höhere Kaufpreis im Wege. Im August 1973 kostete z.B. eine Käfer Limousine 1303 LS 7485.- DM, ein in der Ausstattung und Leistung vergleichbares 1303 LS Cabrio dagegen 9690.- DM, also immerhin fast 30 % mehr. Generell kann man sagen, dass seit Beginn der 50er Jahre offene Fahrzeuge immer teurer waren als ihre geschlossenen Pendants. Dies war nicht nur der niedrigeren Produktionszahl der offenen Varianten geschuldet, sondern vor allem auch dem konstruktiven Aufwand, der nötig war und ist, um aus selbsttragenden Basiskarosserien einigermaßen verwindungssteife Cabriolets herzustellen.


Mercedes 300 S Cabrio und Jensen Interceptor Convertible: beides Kleinserienmodelle für gut Betuchte; der Mercedes aus den 50ern, der Jensen aus den 70ern. Fortschritte kann man bei der Verdeckkonstruktion erkennen; beim Mercedes noch traditionell mit außenliegenden Scharnieren.


Dafür erfüllt das Käfer Cabrio perfekt die Vorgaben an die „klassische“ Definition eines Cabrios: Sein Stoffdach ist gefüttert und kann „komplett“ versenkt werden, letzteres gilt auch für die 4 Seitenscheiben. Weshalb ich „komplett“ in Anführungszeichen gesetzt habe? Beim Käfer Cabrio von Karmann liegt nach dem Öffnen des Daches ein mächtiger Verdeckwulst auf dem hinteren Bereich der Karosserie auf. So „komplett“ versenkt wie beispielsweise bei einem Mercedes SL gleich welchen Baujahrs ist das Verdeck beim Käfer Cabriolet also nicht.


Peugeot 504 Cabrio und Mercedes 230 SL „Pagode“ (W 113): beide Fahrzeuge mit voll versenkbarem Verdeck, beim Peugeot klassisch mit einer Persenning, beim Mercedes elegant mit einer separaten Klappe abgedeckt. Die Pagode gab es in der „California-Ausführung“ auch ohne Verdeck; als Regenschutz konnte bei Bedarf das Hardtop montiert werden!


Das Golf Cabrio als Nachfolger des Käfers darf sich ebenfalls mit dem Titel „Cabrio“ in der traditionellen, engeren Auslegung schmücken; sein Überrollbügel ist dieser Einstufung nicht abträglich. Das Golf Cabrio zeigt allerdings auch, dass sich selbsttragende Karosserien eher nicht für den „Aufschnitt“ zum Cabrio eignen. Neben dem Überrollbügel bedurfte es weiterer Verstärkungen der Karosseriestruktur, um die Steifigkeit der Konstruktion zu gewährleisten.


Spätes Golf I Cabrio als elegantes Sondermodell, vermutlich Version Classic.


Das Golf Cabrio beweist im direkten Vergleich mit dem Käfer Cabrio auch, dass es selbst bei Cabrios im engeren Sinne verschiedene Grade von Offenheit gibt. Dies gilt auch beim Quervergleich mit zeitgenössischen Alternativen. Das Golf Cabrio hatte zum Start der Baureihe einen sehr hoch aufragenden Verdeckhöcker, der erst nach einigen Monaten Bauzeit und einer Überarbeitung des Verdeckgestänges auf ein etwas erträglicheres Maß abgesenkt werden konnte. Außerdem waren die hinteren Seitenscheiben nicht komplett versenkbar.

Bei vergleichbaren Bügelcabrios wie Ford Escort, Opel Kadett und Talbot Samba traf dies jedoch gleichermaßen zu. Wie man es optisch besser machen kann, zeigte hingegen der Fiat Ritmo mit dem Cabrio-Umbau von Bertone: hier waren die Seitenscheiben voll versenkbar und der auf dem Heck ruhende Verdeckwulst sehr flach.


Triumph Stag und Talbot Samba Cabrio: Der Samba ist ein Vertreter der für die 80er typischen Bügelcabrios. Der Stag wurde bereits 1970 vorgestellt und, in Hinblick auf den Absatz in den USA, als Sicherheitscabrio mit T-Steg als Verbindung zwischen Überrollbügel und Windschutzscheibenrahmen ausgelegt. Damals ein topmodernes Konzept, welches sogar James Bond als Dienstwagen nutzte.


Fiat Ritmo Cabrio: Bertone hat hier Hand angelegt.


Bei aller Kritik am Design der Bügelcabrios sollte man immer berücksichtigen, in welcher Zeit sie entstanden. Außer dem antiquierten VW Käfer und dem sündhaft teuren Rolls-Royce Corniche Convertible gab es Ende der 70er Jahre kein vollwertiges viersitziges Cabrio im deutschen Angebot mehr. Auch viele 2-Sitzer, vor allem britische und italienische, hatten den Höhepunkt ihrer Modellkarriere bereits hinter sich. Deshalb gab es für die Bügelcabrios einen Platz am Markt; sie waren auf Grund des wachsenden Wohlstands als Zweitwagen erschwinglich geworden, sowohl in der Anschaffung wie im Unterhalt. Die pragmatische Lösung mit dem Überrollbügel war produktionstechnisch relativ preiswert zu realisieren, und nach elektrischen Verdecken verlangten die Käufer damals noch nicht. Dafür erfüllten Golf Cabrio und Co. das allmählich wachsende Bedürfnis nach Sicherheit.


Rolls Royce Corniche Convertible: um 1980 eines der ganz wenigen noch erhältlichen 4-sitzigen Cabrios, hier nach Angaben des Anbieters ein früheres Fahrzeug von Frank Sinatra.


Spätestens um die Jahrtausendwende war es mit der Mode der Bügelcabrios jedoch vorbei. Was war geschehen? Schon in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre starteten 3 Hersteller mit 4-sitzigen, jedoch völlig bügelfreien Cabrios in den Markt, allen voran BMW mit dem 325i Cabrio. Es erfüllte die ungestillten Sehnsüchte viele Cabriofahrer nach einem komplett offenen (diesmal ohne Anführungszeichen, denn das Verdeck war komplett versenkbar und geöffnet durch eine formschöne Abdeckung unsichtbar) Cabrio für die ganze Familie. Im Windschatten des offenen 3er BMWs hatten auch das Saab 900 Cabrio und der Chrysler Le Baron einen gemessen an den gesamten Zulassungszahlen der beiden Marken sehr respektablen Markterfolg in Deutschland. Im sportlichen Segment reüssierte ab Ende 1982, für viele unerwartet, der in den 70ern oft schon totgesagte Porsche 911 als Cabriolet.


BMW 325i Cabrio: Mitte der 80er Jahre endlich wieder ein 4-sitziges Cabrio!


Saab 900 Cabrio: die Alternative für Individualisten aus Schweden mit stilistisch interessanter Verdecklösung in geöffnetem Zustand. Ein langjähriger Verkaufserfolg.


Chrysler Le Baron Cabriolet: „American Way of Drive“ mit europäischen Abmessungen.


Porsche 911 Cabriolet: Totgeglaubte leben länger; nicht nur bei uns, sondern auch in den USA fuhr Porsche mit diesem Modell wieder auf der Überholspur.


Natürlich schauten sich andere Hersteller diese Entwicklung nicht tatenlos an. Audi lancierte eine offene Version des 80ers, Mercedes ein Cabrio der Baureihe 124. In der volkstümlichen Preisklasse hatte Opel bereits 1993 das Kadett Cabrio durch einen ebenfalls bei Bertone gebauten, komplett offenen Astra ersetzt. Ebenfalls ohne Bügel kamen das ab 1991 bei Karmann gebaute Renault 19 Cabrio und sein Nachfolger Mégane sowie das stilistisch besonders ausgewogene Peugeot 306 Cabriolet ab 1994 aus.


Mercedes A 124 Cabrio: solides 4-sitziges Cabrio in der oberen Mittelklasse, gegenüber BMW und Audi ein Nachzügler.


Renault 19 Cabrio: bügelfreies Cabrio aus der Zeit der Bügelcabrios. Originelle Lösung für das geöffnete Verdeck. Schön oder nicht schön, das ist hier die Frage.


Peugeot 306 Cabrio: zeitlos-elegantes Pininfarina-Design mit voll versenkbarem Verdeck lässt dieses erschwingliche Cabrio bis heute attraktiv erscheinen.


In der Summe führte das Angebot an verschiedenen offenen Fahrzeugen in den 1990er-Jahren zu einem regelrechten Cabrio-Boom in Deutschland. Daran hatten jedoch nicht nur die hier genannten Cabrios, welche alle die Vorgaben für Cabrios im ursprünglichen Sinne erfüllen, ihren Anteil, sondern auch die Vertreter anderer Baumuster, insbesondere der Coupé-Cabriolets (Klappdach-Cabrios), der Spider und Roadster, auf die ich noch eingehen werde.


Daihatsu Copen geöffnet und geschlossen: Die kleine japanische Firma zeigte mit dem Copen, wie man auch Klappdach-Cabrios elegant und ohne ausladende Heckpartie in Form bringen kann. Nachteil: ist das Dach im Kofferraum versenkt, bleibt nur minimal Platz für Gepäck.


Trends kommen und gehen, und oft kommt es auch nach einer Zäsur wieder zu einer Art Revival. Der Boom der Klappdach-Cabrios hat sich in den letzten Jahren stark abgeschwächt; stattdessen ist es plötzlich wieder chic, ein Cabrio mit Stoffverdeck zu fahren. Viele dieser Fahrzeuge werden nach meinen Beobachtungen auch bei gutem Wetter geschlossen gefahren, aber wenn man wollte, könnte man das Dach natürlich, in der Regel elektrisch, öffnen. Unverkennbar ist, dass der Markt für Cabrios (und auch Coupés) inzwischen sehr klein geworden ist. Dies mag dem demographischen Wandel geschuldet sein, möglicherweise auch den (zu) heißen Sommern der letzten Jahre.

Immerhin haben die Anbieter auf den sich wandelnden Markt reagiert und statten so gut wie jedes Cabrio auch mit einer Klimaanlage aus. Auch dem Trend zum Höhersitzen wird Rechnung getragen; in der Liga der gehobenen SUV z.B. durch das Range Rover Evoque Cabrio, in preiswerteren Gefilden durch den VW T-Roc. Insgesamt ist die Modellvielfalt bei Cabrios jedoch stark zurückgegangen, auch wenn z.B. der Audi A5 oder der BMW 4er weiterhin im Angebot sind. Natürlich werden Edelanbieter auch zukünftig auf die Exklusivität von versenkbaren Verdecken setzen, aber Aston Martin, Bentley und Co. bleiben für den Durchschnittsverdiener unerreichbar und sorgen nicht für nennenswerte Stückzahlen.


Range Rover Evoque Cabrio: das erste SUV-Cabrio; ein Trendsetter, der vermutlich einige Nachahmer finden wird, denn auch viele Cabriofahrer wollen höher sitzen!


VW T-Roc Cabrio: voll im Trend der Zeit – erhöhte Sitzposition für leichten Einstieg und bessere Übersicht auch beim Cabriofahren. Der neue Favorit für alle Best Ager.


Audi A5 Cabriolet: eines der wenigen noch erhältlichen 4-sitzigen Cabrios mit Stoffverdeck.


BMW 4er Cabrio: aktueller 4-Sitzer mit sportlicher Optik. Wird auch er bald zu Gunsten eines SUV-Cabrios eingestellt?


Bentley Continental GT Cabrio Mulliner: eine weitere Steigerung hinsichtlich Leistung, Preis, Exklusivität und Opulenz der Ausstattung ist kaum vorstellbar.


Beim Blick auf die Optik und die Ausstattung eines Luxuskreuzers wie des Bentley stellt sich auch die Frage, ob diese Art des Offenfahrens eigentlich die ursprüngliche Vorstellung vom Cabriofahren noch erfüllt. Die Gürtellinie ist, wie übrigens auch bei anderen zeitgenössischen Cabrios, sehr weit hochgezogen. Auch die Windschutzscheibe ist stark geneigt und reicht bis kurz vor den Kopf der vorderen Insassen. Beides dient wohl in erster Linie dazu, den Wind möglichst draußen zu halten. Sollte sich dennoch mal ein Lüftchen in den Innenraum verirren, helfen Windschott und Nackenheizung mit, es von den Passagieren möglichst fernzuhalten. Es wird also bei diesem Modell sehr viel Aufwand dafür betrieben, dass die Passagiere zwar an der frischen Luft sitzen, diese aber dennoch mehr oder weniger ausgesperrt wird. Und „leicht“ ist so ein Luxusschlitten natürlich auch nicht mehr.

Zum Glück gibt es jedoch für traditionelle Frischluftfanatiker auch heute noch Cabrios, in denen man sich die Luft um die Nase wehen und die Haare im Wind flattern lassen kann. Mit diesen beschäftigt sich die nächste Folge dieses Beitrags. Lasst euch überraschen!


Fortsetzung - Teil 2: Roadster von der britischen Insel und von anderswo



cabrio_1.htm - Letzte Aktualisierung: 28.03.2024